Der Unterschied zwischen klassischer und strategischer Psychotherapie


Traditionelle Psychotherapie: Auf Erkenntnis folgt Veränderung
Strategische Psychotherapie: Auf Veränderung folgt Erkenntnis

Es existiert keine Studie, die belegt, dass die Erkenntnis in die Ursachen von Problemen etwas zu deren Lösungen beiträgt.

Ein Problem entsteht oft dadurch, dass etwas Unerwartetes oder Traumatisierendes plötzlich „passiert“. Daraus entsteht oft ein Vermeidungs- und Kontrollverhalten gegenüber derartigen Situationen als dysfunktionaler Lösungsversuch, der seinerseits zu einem neuen Problem wird.

Ziel muss sein, dem Klienten eine erste emotional korrigierende Erfahrung machen zu lassen, deren Wirkung erst hinterher als Erkenntnis bemerkt wird und so das dysfunktionale Grundmuster durchbricht. Dabei gehen wir davon aus, dass alles Erleben Wirkung von Aufmerksamkeitsfokussierung ist („Energy flows where attention goes“). Diese Fokussierung war bisher beim Klienten unbewusst und ungewollt dysfunktional, sie hat das Problem aufrechterhalten statt gelöst. Wir versuchen nun, durch verschriebene Aufmerksamkeitsausrichtung auf für ihn günstige, vom Problem wegführende Dinge eine positive Erfahrung zu konstruieren, die dem Klienten hinterher durch Erkenntnis in sein eigenes zukünftiges Verhalten umsetzen kann.

Beispiel:
Ein Klient hat Angst davor, einen Fahrstuhl, einen Zug, ein Flugzeug zu besteigen, seitdem er einmal plötzlich die Erfahrung gemacht hat, dort über Stunden festzusitzen und nicht herauszukommen (Klaustophobie).

Klassischer Lösungsansatz Psychoanalyse:
Es wird versucht, in den Vergangenheitserfahrungen, insbesondere Kindheitserinnerungen, nach Gründen zu suchen, warum sich jetzt diese Angst entwickelt hat und sie nicht mehr weggeht. Werden – was sehr viel Zeit in Anspruch nehmen kann – vermeintliche Gründe gefunden, wird dann davon ausgegangen, dass dieser „Erkenntnis“ die „Lösung“ unmittelbar folgt. Das ist aber in der Regel nicht der Fall. Stattdessen hat der Therapeut eine unumstößliche „Begründung“ im Klienten konstruiert, was diesen noch hilfloser machen lässt, da er keine Lösung findet.

Klassischer Lösungsansatz Verhaltenstherapie:
Hier wird versucht, dem Klienten Mut zu machen, sich der angstbesetzten Situation zu stellen („Konfrontationstherapie“), zunächst schrittweise (z.B. nur eine Etage im Aufzug) und mit dem Therapeuten zusammen.
Dies ist für den Klienten ein enorm belastendes Vorgehen. Selbst wenn es ihm gelingt, mit oder ohne dem Therapeuten unter Qualen einige Schritte weiterzukommen, so heißt dies nicht, dass ihm dies noch ein zweites Mal gelingen wird. Vielmehr assoziiert er die Situation künftig mit dieser starken Belastung, denn durch diese Maßnahme wird das wahrnehmungs-reagierende System des Klienten gegenüber der Situation nicht geändert. Es bleibt so angstbehaftet wie zuvor und entsprechend verbleibt das Vermeidungs- und Kontrollverhalten unverändert.
Strategischer Lösungsansatz:
Da wir wissen, dass das Problem durch eine konkrete, unerwartete Erfahrung entstanden ist und erst dann ein daraus resultierendes Vermeidungs- und Kontrollverhalten entwickelt wurde, arbeiten wir in der gleichen Reihenfolge.

Also zunächst eine korrigierende, emotionale Erfahrung „konstruieren“ (ohne dass sich der Klient in diesem Moment dessen vielleicht bewusst ist) und daraus die Erfahrung machen lassen, dass „eigentlich alles gar nicht so schlimm ist“.

Dies erreichen wir durch Aufmerksamkeitsfokussierung des Klienten auf etwas ganz anderes, während er „nebenbei“ die für ihn angstbesetzte Situation durchläuft und sich hinterher wundert, wie ihm das gelungen ist. Dies ist durch induktiv-hypnotische Sprache des Therapeuten anzustoßen, die das Unterbewusstsein des Klienten anspricht und ihn dazu veranlasst, die „Aufgaben“ des Therapeuten auch tatsächlich durchzuführen.

In unserem Ausgangsbeispiel könnte dies folgenderweise formuliert werden:

„Bitte legen Sie eine leere Grappaflasche, Sie wissen schon, die mit dem langen dünnen Hals und einen kleinen Beutel mit Espressobohnen in eine Tasche. Während Sie zum Bahnhof/zum Flughafen/zum Aufzug gehen, halten Sie ihre Hände mit verschränkten Fingern ineinander fest zusammen, wobei der nicht dominante Daumen oben aufliegt. Immer dann, wenn große Angst aufkommt, drücken Sie so fest zu, bis es schmerzt. So gehen Sie hinein. Dann nehmen Sie sich die Flasche und die Bohnen und füllen Bohne um Bohne einzeln in die Flasche. Wenn die Flasche gefüllt ist, leeren Sie diese und Sie beginnen von vorn, bis Sie am Ziel sind. Dann legen Sie beides zur Seite und wiederholen die Fingerübung.“

Wenn diese Verschreibung richtig kommuniziert und ausgeführt wird, sich der Klient also auf die beiden „Aufgaben“ konzentriert und nicht auf die „gefährliche“ Situation, gelangt er nicht nur zum gewünschten Ziel, sondern es ändert sich auch sein perzeptiv-reaktives System und er kann derartigen Situationen in Zukunft gelassen entgehen sehen, weil er ja sein „Werkzeug“ dabei hat (das er in der Regel nach kurzer Zeit nicht mehr braucht).

Hier ist es wie erwähnt von entscheidender Wichtigkeit, dass der Klient zuerst die positive Erfahrung macht und ihm erst hinterher erklärt wird, wie es funktioniert hat. Alternativbeispiele für die Kombination Grappaflasche-Espressobohnen und Modifizierungen gibt es viele, hier muss auf die spezifischen Wahrnehmungs-und Kontrollversuchsmuster des Klienten individuell abgestimmt werden.

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